Cygnus cygnus ist die wissenschaftliche Bezeichnung für den Singschwan. Der Morgenvogel begegnet ihm regelmäßig auf seinen Reisen nach Finnland. Und sieht man ihn nicht, so hört man doch, wenn dieser große weiße Wasservogel den Gesang, der ihm den Namen gibt, kräftigst über die weiten Seenflächen ertönen lässt (gerne auch mitten in der Nacht).
Zur Mitte des 20. Jahrhunderts war der Singschwan in Finnland fast ausgerottet. Zwar stand er seit 1934 unter Naturschutz, wurde aber im Hunger des Kriegs oft schlicht aufgegessen. Erst mit den 1950er Jahren wurde die Lage besser (nicht zuletzt dank der Bemühungen des Tierarztes und Schriftstellers Yrjö Kokko), und inzwischen gilt die Population als stabil. Es wäre auch zu schade gewesen um einen Vogel, der sich als heiliger Vogel auf alten Höhlenmalereien findet, den schon das finnische Nationalepos Kalevala erwähnt und dessen Gesang den Komponisten Jean Sibelius inspiriert hat. Seit 1981 ist der Singschwan der finnische Nationalvogel.
Aber die offenen finnischen Seenflächen, die im Sommer den Lebensraum von Cygnus musicus (wie ihn Yrjö Kokko nannte) bilden, frieren im Winter bald zu. Und was macht er dann? – Der Morgenvogel war überrascht, erst vor kurzem zu erfahren, dass der Singschwan ganz in der Nähe überwintert.
Zusammen mit "Nest in Peace" wollen wir den Singschwan im Februar 2016 in Brandenburg besuchen. Martin Miethke wird uns dann eine Führung geben. (Kosten ca. 10-15 Euro pro Person).
Helmut Höge
Bio-negative Schwäne/Schwanenväter, Schwankliniken, Schwanenflüsterer
Nach den pausenlosen Horronachrichten über Flüchtlinge, Pegida und Putin kam plötzlich eine Meldung von dpa rein: "Alsterschwan fliegt gegen Brückengeländer - Notoperation. Bericht folgt um 16 Uhr". Dazu die Telefonnummern der Polizei und des Hamburger "Schwanenvaters" Olaf Nieß, der den Pechvogel quasi gerettet hatte, denn kurz darauf konnte citynewsTV schon berichten: "Schwerverletzter Alsterschwan gerettet". Die nächste reinkommende Nachricht lautete: "Zugstrecke bei Lohr am Main wegen verletztem Schwan auf Gleisen gesperrt". Interessant! Aber als dann noch eine weitere Meldung von dpa kam: "In Mölln hat ein Schwan im Sturzflug einen Streifenwagen gestoppt - und ist nicht mehr weggeflogen ..." Und noch eine Meldung - diesmal aus der Oberpfalz: "Schwan blockiert Autobahn und legt Verkehr lahm. Ein 'Schwanenflüsterer' musste ran ..."
Da fragte die Chefin vom Dienst in die taz-Redaktionsrunde: "Was ist bloß mit den Schwänen los?" Ein Kollege gab ihr daraufhin eine positive Meldung - mit der Bemerkung: Ist auch eben reingekommen: "1500 Singschwäne rasten derzeit im Nationalpark." Ein anderer Kollege vermutete, dass sie einfach bei dpa dem Redakteur für Schwanengesänge einen Tag lang freie Bahn gelassen hätten. Das mochte stimmen, denn es dauerte nicht lange - und dpa tickerte: "Biologe: Früher Zug der Zwergschwäne deutet auf harten Winter hin."
Aber halt mal: Stimmte das überhaupt? Die Meldung basierte auf einer "Beobachtung in St. Peter-Ording": Dort waren gerade zwei Zwergschwäne zwischengelandet - "zehn Tage früher als im Vorjahr". Warum sollten die zwei nicht einfach schon mal vorausgeflogen sein? Zwei sibirische Zwergschwäne machen doch noch keinen Winter. Und stammte die Beobachtung von einem der fast zweihundert "Bird-Watcher" auf der Eider-Halbinsel? Oder von dem "Biologen" (der namentlich genannt wurde: Dominic Cimiotti)? Möglich auch, dass sich da irgendein "Verantwortlicher" laufend irgendwelche komischen Schwan-Nachrichten ausdachte. Man erwog, den für die Aviafauna zuständigen dpa-Redakteur zu interviewen, wenn nicht gar der Nachrichtenfälschung zu überführen. Die politisch denkende Chefin vom Dienst tat jedoch etwas anderes: Sie sammelte alle bis dahin eingegangenen Schwan-Meldungen ein und schickte sie dem Schwanforscher in der Berliner taz-Zentrale: Mochte der sich doch einen Kopp darüber machen!
Und das tat der dann auch (obwohl er sich gerade in Basel befand) - und zwar viel zu ausführlich, denn er hatte gerade in seiner (Lyrik-)"Reihe Kleiner Brehm" ein ganzes, wenn auch dünnes Buch über Schwäne veröffentlicht. Aber niemand hatte ihn bisher darauf angesprochen!
In Basel nun vermutete dieser verschmähte Schwanforscher zunächst: Die Nachrichtenflut über Schwäne, das ist kein Schwan- sondern ein Medienereignis, wenn nicht gar eine Medienverschwörung. Eine Gleichschaltung, die das Volk zur Beruhigung mit "Fakten, Fakten, Fakten" über unsere nächsten nicht-menschlichen Nachbarn quasi zuscheißen (informieren) will.
Dafür sprach z.B. eine Meldung aus Vorpommern, wonach "Schwaneltern" zwei Graugänschen großzogen. Klang das nicht verdächtig nach Vorbildpropaganda zu passender Zeit? Der "stern" veröffentlichte etwa zur gleichen Zeit eine Reportage über "Den Aggro-Schwan von Amsterdam", vor dem viele Bürger Angst hätten.
Die Schwäne leben mitten unter uns. Es sind Parkvögel geworden, über die man jedoch nur wenig weiß, weil man mit "halbdomestizierten Tieren" keine steile Forscher-Karriere machen kann. Besser sind seltene und richtig wild lebende. In vielen Städten gibt es inzwischen schwangeschulte Feuerwehrmänner und spezielle Schwankliniken, in Berlin sogar eine Reha-Abteilung mit Swimmingpool im Tierheim. Im besonders schwanfreundlichen England ist der Höckerschwan als erste Art "wildlebend erloschen", d.h. es gibt ihn dort nur noch in Menschennähe. Alle englischen Schwäne gehören seit 1145 dem Königshaus, nur die Queen darf Schwäne essen. Die freie Stadt Hamburg maßte sich 1164 das selbe an, indem sie alle "Alsterschwäne" offiziell in Schutz, d.h. Besitz, nahm.
In Basel ließ sich am darauffolgenden Tag die Medienverschwörung allerdings nicht länger aufrecht erhalten - oder sie war umfangreicher als gedacht, denn auch TV-Zürich meldete plötzlich: "Auf der Hardbrücke lösten zwei verirrte Schwäne einen Polizeieinsatz aus." Sie waren einfach dort sitzen geblieben und hatten sich die vorbeifahrenden Autos angekuckt - wie Filmaufnahmen zeigten.
Und in Olten löste laut "blick online" ein schwarzer Schwan eine öffentliche Debatte aus: Wohin damit? Man will diesen australischen Vogel dort nicht haben, weil er sich mit den weißen schweizerischen verpaaren und "Mischlinge" produzieren könnte. Wo man die schwarzen in einigen Schweizer Seen duldet, werden ihre Flügel beschnitten, damit sie am Standort und für sich bleiben müssen. Die Schweiz ist bekannt für ihre Rigorosität, mit der sie "invasive Arten" abwehrt, bekämpft. Für deutsche Biologen wie den Münchner Josef Reichholf ist dies Ausdruck von "konservativ-anthroponationalistischem Denken".
Gerade beim Schwan ist das jedoch gemein, denn bei ihm haben es die Natur- und Kulturgeschichte fertig gebracht, dass er ein „Kunstvogel“ wurde, ohne gezähmt und gezüchtet worden zu sein. In Landsberg an der Warthe (heute: Gorzow Wielkopolski) gibt es einen Stadtpark, den Gottfried Benn, der dort 1944 drei Monate lang stationiert war, als durchaus „herkömmlich“ eingerichtet bezeichnete, „- doch ungeheuer auffallend, das 'Schwanenmotiv', Schwäne -, das ist stilisiert! Widersinnig!, den Schwanenkopf so hoch über den Wasserspiegel zu legen auf einen Hals wie glasgeblasen! Keine Kausalität darin, reines Ausdrucksarrangement. Ebenso die Weisen, in die Fluten hangend, Unstillbares, Schwermut, Bionegatives in die Ackerbürgerstadt verlagernd, - unmittelbar, wie jeder nachfühlt, auf Ausdruck gearbeitet.“ Die Schwäne sind Teil des künstlichen Intérieurs geworden. Sie fügen sich darin ein. „Es gibt Tiere, die gegen die Natur arbeiten,“ wie der Kulturwissenschaftler Peter Berz schlußfolgert.
PS: Die Bennsche Parkvogel-Wahrnehmung war damals laut Berz von der Schrift des Psychiaters Wilhelm Lange-Eichbaum über „Genie – Irrsinn und Ruhm“ beeinflußt, Benn fand darin seinen Begriff „Bionegatives“.
Helmut Höge, November 2015